Explainer: Hongkongs Nationales Sicherheitsgesetz (NSG)
Das Nationale Sicherheitsgesetz hat Hongkong nachhaltig zum schlechteren verändert. Es schränkt Menschenrechte massiv ein und gibt China quasi uneingeschränkten Zugriff auf den einst existenten Hongkonger Rechtsstaat.
Doch was ist das überhaupt – dieses Sicherheitsgesetz? Wen „schützt“ es? Und vor wem? Wir haben euch die Geschichte und Konsequenzen des Gesetzes kurz und knapp zusammengefasst.
Was steht im Nationalen Sicherheitsgesetz?
Im Juni 2020 umging Peking Hongkongs Gesetzgebungsprozess und schaffte mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz Fakten. Das Gesetz kriminalisiert „Staatsgefährdung, Unabhängigkeitsbestrebungen, die Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften und Terrorismus“. Das Höchststrafmaß ist eine lebenslange Haftstrafe.
Das Gesetz schreibt Hongkong vor, einen eigenen Staatssicherheitsapparat zu etablieren. Das Office for Safeguarding National Security der Pekinger Zentralregierung in Hongkong besitzt Sonderrechte, welche die der lokalen Polizei bei weitem übersteigen. Einige der Fälle, die unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz angeklagt sind, könnten künftig in Festlandchina verhandelt werden.
Das Gesetz findet seine Geltung auch außerhalb Hongkongs und betrifft nicht nur Staatsbürger Hongkongs, sondern auch Ausländer. Im April 2023 wurde eine Hongkongerin für Äußerungen in den sozialen Medien verhaftet, die sie während eines Auslandsaufenthalts in Japan getätigt hatte.
Die vier Straftatbestände im Sicherheitsgesetz sind nahezu undefiniert. Dementsprechend kann de facto jedes Handeln als Rechtsbruch ausgelegt werden. Es gibt keine Rechtssicherheit – dies führt zu einem Klima der Angst, in dem niemand weiß, was erlaubt ist und was nicht. So wurde unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes ein Aktivist für das Zeigen einer Flagge festgenommen. Auf der Fahne stand der inoffizielle Slogan der Regenschirm-Bewegung: „Hongkong befreien, die Revolution unserer Zeit“. Dem Aktivisten warfen die Hongkonger Behörden Unabhängigkeitsbestrebungen und Terrorismus vor.
Das Gesetz setzt Menschenrechte wie freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit effektiv außer Kraft, es soll die Hongkonger Zivilgesellschaft zersetzen.
Wie wird das Nationale Sicherheitsgesetz umgesetzt?
Stand April 2023 gibt es eine 100-prozentige Verurteilungsrate für Anklagen unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz. Insgesamt wurden bislang 250 Menschen verhaftet. Die Angeklagten befinden sich häufig für bis zu zwei Jahre in Untersuchungshaft, ohne einem Haftrichter vorgeführt zu werden. Einige von ihnen sind minderjährig, andere hochbetagt. Bisher wurden 151 Menschen angeklagt und 71 von ihnen wurde bereits der Prozess gemacht.
Die Gruppe der Gefangenen ist divers: Von pro-demokratischen Aktivisten über Gewerkschafter, Politiker oder Wissenschaftler hin zu Studenten – verschiedenste Gruppen werden verfolgt. Seit der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes mussten sich mindestens 58 zivilgesellschaftliche Vereinigungen und 62 Gewerkschaften auflösen – häufig aus Selbstschutz. Unter ihnen: Nachrichtenorganisationen, Studentenvereinigungen, Menschenrechtsorganisationen, Nachbarschaftsvereine und ein Hilfsfonds für Opfer von politischer Verfolgung.
Menschenrechtsverletzungen unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz
Rechtsstaatliche Prinzipien
Rechtsstaatliche Prinzipien werden durch das Nationale Sicherheitsgesetz regelmäßig und in vielerlei Wegen verletzt. So wurde das Gesetz verabschiedet, ohne die gesetzgebenden Gremien Hongkongs einzubeziehen. Unabhängige Richter oder Geschworene sind in NSG-Prozessen nicht erlaubt. Ausländischer Anwälte werden von Verhandlungen ausgeschlossen.
Freie Meinungsäußerung
In einem der bekanntesten NSG-Prozesse wurden fünf Logopäden für die Veröffentlichung eines Kinderbuchs verurteilt, in dem die Demokratiebewegung behandelt und erklärt wird. Zahlreiche Hongkonger wurden wegen Posts in den sozialen Medien angeklagt und verurteilt – teils nur, weil sie Slogans der Demokratiebewegung verbreitet hatten. Mehrere Medienplattformen standen wegen „aufwieglerischer Artikel“ vor Gericht.
Bildungssektor
Auch im Bildungssektor ist das NSG allgegenwärtig. Die Hongkonger Regierung will die nächste Generation von Klein auf zu regierungstreuen Bürgern erziehen. Um einen Universitätsabschluss in Hongkong zu erlangen, müssen Studierende inzwischen an einem Kurs zur Nationalen Sicherheit teilnehmen. Außerdem müssen Schüler am neu geschaffenen „Tag der Nationalen Sicherheitserziehung“ über das chinesische Staatsverständnis lernen – dies beinhaltet die Ablehnung von westlichen Werten und Ideen. An einer Schule mussten Schüler im Rahmen eines Rollenspiels in Polizei-Uniformen Protestierende verprügeln.